SPIEGEL – So bekommen Sie Ihr digitales Chaos in den Griff

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Wer sein E-Mail-Konto als To-do-Liste nutzt, könnte genauso gut seine Papierpost zurück in den Briefkasten stopfen, meint Organisationsprofi Jürgen Kurz – und erklärt, wie man sich digital besser organisiert.

SPIEGEL: Wie bekommt man seinen Desktop in den Griff? Auf vielen Bildschirmen sieht man Icons von Urlaubsbildern, Briefentwürfe, Zip-Dateien von Prospekten… alles wild nebeneinander.

Jürgen Kurz: Ja, was früher der Schreibtisch mit dicken Papierstapeln war, ist heute ins Digitale umgezogen: Die Leute legen einfach alles auf einen Haufen. Das machen sie auch mit Dateien. Und sie geben sich derselben alten Illusion hin: Wenn etwas oben auf den Schreibtisch liegt, habe man es griffbereit. Aber das hat schon analog noch nie geklappt.

SPIEGEL: Leuchtet ein. Aber wie findet man aus dem Chaos heraus?

Kurz: Genau wie in der analogen Welt: Jedes Ding hat einen Platz – und genau dort ist es auch. In der digitalen Welt ist dieser Platz nicht irgendwo auf dem Desktop, sondern geordnet in einem Programm wie Onenote, Evernote, Google Keep, Cherrytree oder Outline. Um Ordnung zu schaffen, brauchen Sie fünf Elemente: Posteingang, Aufgabenliste, Kalender, Wiedervorlage und Ablage. Die Kunst ist, die richtig zu kombinieren. Aber erstaunlich viele Leute nutzen den Posteingang von Outlook als To-do-Liste – dabei ist das einfach das falsche Werkzeug. Wenn Sie Ihre Papierpost aus dem Briefkasten holen, stopfen Sie sie ja auch nicht wieder dorthin zurück, bis Sie sie bearbeiten.

SPIEGEL: Es gibt im Maileingang aber doch diese Möglichkeit, Häkchen zu setzen oder sich eine Erinnerung schicken zu lassen.

Kurz: Um im Bild zu bleiben: Klar können Sie auch Ihren realen Briefkasten zur Aufbewahrung von Projektunterlagen nutzen – und der Übersicht halber die Briefumschläge mit Post-its markieren. Wenn das für Sie eine gute Lösung ist, spricht nichts dagegen, aber für die meisten Menschen funktionieren andere Lösungen besser. Den Sinn von Fähnchen und Häkchen habe ich nie verstanden. Irgendwann wird aus dem Posteingang eine riesig lange To-do-Liste, und man verliert den Überblick, was alles noch in der Pipeline ist.

SPIEGEL:
Und wie geht es besser?

Kurz: Sie identifizieren alles, was digital hereinkommt, entweder als Aufgabe, als Termin oder als abgearbeitet – letzteres gilt etwa für Buchungsbestätigungen. Wenn Sie sagen: Das ist etwas, das ich am Freitag um neun Uhr machen werde, kommt es in den Kalender. Wenn es eine Aufgabe ohne festen Termin ist, kommt die auf Ihre To-do-Liste. Sie brauchen also nur eine Aufgabenliste und einen Kalender, die miteinander verknüpft sind. Außerdem ein Wiedervorlagesystem, in dem Sie alle nötigen Unterlagen schnell finden können – und das Ihre Kollegen im Vertretungsfall genauso schnell und sicher nutzen können.

SPIEGEL: Viele von uns könnten einen digitalen Hausputz gebrauchen. Womit fängt man an?

Kurz: Mit dem Desktop. Gucken Sie jedes Icon an, das da liegt, und entscheiden Sie: Wenn Sie die Datei nicht mehr brauchen, gleich löschen. Wenn es für Sie nicht relevant ist, aber es für jemand anderen sein könnte, schicken Sie die Datei dieser Person. Dann richten Sie sich eine digitale Ablage ein. Bewährt haben sich sieben Fächer – das können Sie zum Beispiel als Notizbücher in Onenote oder einem anderen Programm machen: Projekte, Termine, Personal, Vertrieb, Meetings, Wissen und Persönliches/Privates. Diese Ordner gliedern Sie dann in einzelne Abschnitte. Und wenn Sie eine Mail oder Unterlagen bekommen, sortieren Sie die gleich richtig ein, zum jeweiligen Projekt.

SPIEGEL: E-Mails sind für viele Menschen schwer in den Griff zu bekommen.

Kurz: Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Drei Fälle können Sie in unter einer Minute erledigen: Können Sie die Mail löschen? Dann tun Sie es gleich. Zweitens: Delegieren ist der Goldstandard. Wenn Sie feststellen, dass die Mail für Sie nicht relevant ist, für einen Kollegen vielleicht aber doch, leiten Sie sie sofort weiter. Drittens: Wenn Sie feststellen, dass Sie die Mail aufheben müssen, aber sich daraus kein Handlungsbedarf ableitet – etwa bei einer Versandbestätigung – schieben Sie sie gleich in den entsprechenden Ordner im Archiv. Für alles andere gilt bei mir die Fünf-Minuten-Regel: Wenn ich etwas bekomme, das ich innerhalb von fünf Minuten erledigen kann, mache ich es gleich. Sonst muss ich mich wieder hineindenken – und die Rüstzeit ist dann überproportional hoch im Verhältnis zur Erledigungszeit.

SPIEGEL: Was ist mit dem Rest?

Kurz: Komplexere Vorgänge muss ich entweder auf meine Aufgabenliste oder in den Kalender nehmen. Und damit habe ich den Kopf auch wieder frei. Mit einer digitalen Wiedervorlage kann ich dann auch die Liste und den Kalender miteinander verlinken, sodass sich im richtigen Moment der Aktenschrank direkt von selbst an der richtigen Stelle öffnet. Und abgeschlossene Projekte schieben Sie in ein digitales Archiv zur finalen Ablage, damit es Ihnen diesen Schrank nicht verstopft. Ich führe selbst übrigens noch eine dritte Liste: „Maybe someday“ heißt die bei mir, darin notiere ich Ideen ohne festen Termin.

SPIEGEL:
Ehrlich gesagt: So eine Liste wird doch eher zum Ideenfriedhof.

Kurz: Genau! Und das ist gut so! Denn diese Ideenliste ist eigentlich ein Filtersystem, das in zwei Richtungen funktioniert: Sie verhindert, dass Sie etwas löschen müssen, das Sie doch irgendwie interessant finden – aber vor allem verhindern Sie, dass Ihre eigentliche Aufgabenliste unübersichtlich wird. So behält man ein arbeitsfähiges System, das nicht verstopft.


Maren Hoffmann