automobilwoche.de – Wie viel Urlaub darf's denn sein?: Über die Angst der Chefs vor dem Loslassen

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Ein Unternehmen läuft dann gut, wenn die Mitarbeiter nicht bemerken, ob der Chef da ist oder eben nicht. Die Urlaubszeit wäre also ein idealer Firmencheck. Doch viele Geschäftsführer und Führungskräfte trauen ihren Mitarbeitern nicht.
Von Jens Gieseler

 

Eine Woche Urlaub am Stück, mehr trauen sich viele Geschäftsführer und Führungskräfte nicht – und selbst in der knappen Zeit checken sie ihre Mails und sind trotz Zeitverschiebung jederzeit telefonisch erreichbar. Andreas Nau kennt das nur zu gut: Er und seine beiden Geschäftsführer-Kollegen von Easysoft dachten vor zehn Jahren auch, dass ihre IT-Schmiede lediglich zwei Wochen pro Jahr ohne sie auskommt.

Inzwischen weiß der 53-jährige Schwabe aus eigener Erfahrung, dass Erholung erst in der dritten Woche einsetzt. Unternehmensberater Manuel Marburger stimmt dem grundsätzlich zu: „Nach dem Urlaub sind wir frischer und leistungsfähiger.” Außerdem schaffen freie Tage Raum für neue Ideen, der im operativen Alltagsgeschäft nur mühsam geschaffen werden kann.

„Andreas Nau und seine beiden Geschäftsführer-Kollegen von Easysoft dachten vor zehn Jahren auch, dass ihre IT-Schmiede lediglich zwei Wochen pro Jahr ohne sie auskommt. Jetzt wissen sie es besser.”

Im November 2015 waren alle drei Easysoft-Geschäftsführer für eine Woche gemeinsam segeln. Das funktioniert, weil sie das Unternehmen seit 2008 schrittweise stärker strukturieren, Jahresziel vereinbaren und die Mitarbeiter selbständig arbeiten. Und weil Gesunderhaltung ein Unternehmenswert ist, haben die drei wie alle Mitarbeiter, die mindestens seit fünf Jahren in der Firma arbeiten, 30 Tage Urlaub. Zusätzliche Regelung: Urlaubstage, die die drei Chefs nicht nehmen, fallen den Kollegen zu. „Das ist noch nie passiert”, lacht Nau. Regelmäßiger Urlaub als gegenseitige Vereinbarung.

Um den Urlaub zu genießen, suchen manche nach einem Domizil ohne WLAN und Internetverbindung. Doch das wird zunehmend schwieriger. Deshalb lässt eine Führungskraft eines Personaldienstleisters ihren beruflichen Blackberry gleich zu Hause liegen und nimmt lediglich ihr privates Handy nach Sizilien, Goa oder New York mit. Ausgewählte Personen, vor allem die Vertretung, kennen diese Nummer und die private Emailadresse für echte Notfälle. Damit ist die Urlaubsruhe weitgehend geschützt, denn: „Jede Mail reißt uns wieder in die Berufswelt”, weiß Marburger. Wenn dieses System zwei Wochen funktioniert – die Vertretung erledigt einen Großteil der Mails –, dann sollte der Urlauber überlegen, ob er diese Regelung nicht gleich im Alltag einführt. Denn 85 Prozent aller Mails kann ein Assistent erledigen und filtert für seinen Chef die wichtigen Mails raus.

Mails: Warum nicht automatisch löschen lassen?

Wer den Urlaub als Denkpause produktiv nutzt, dem empfiehlt der hessische Unternehmensberater rituelle Frei-Zeiten: „Früher bekam man montags keinen Termin beim Friseur und Anrufe mittwochs Nachmittag beim Rechtsanwalt oder Arzt waren vergeblich”. Er selbst hält den Freitag terminfrei, um Wichtiges und Strategisches zu erledigen. Easysoft hat sogar das Thema Sabbatical geregelt: Alle sieben Jahre hat jeder Mitarbeiter ein Anrecht auf drei Monate Urlaub. Davon nimmt er 20 Tage von seinem aktuellen Jahresurlaub, weitere 20 Tage nimmt er im Vorgriff auf die kommenden vier Jahre und 20 Tage schenkt ihm der Arbeitgeber.

Stichwort Mails im und nach dem Urlaub: Ganz rigoros können Daimler-Mitarbeiter seit 2013 agieren: Sie entscheiden, ob während ihres Urlaubs eingehende Mails automatisch gelöscht werden. Denn nach dem Urlaub quillt manches digitale Postfach mit 500, 1000 oder 1500 Mails über. Schon deswegen fühlen sich viele Mitarbeiter gezwungen, auch während des Urlaubs Mails zu bearbeiten. Verständlich, denn die ersten Tage im Büro gehen sonst mit dem Bearbeiten alter Mails drauf und produktiv für sein Unternehmen ist er auch nicht.

Für Jürgen Kurz ist diese Zeit eine gute Gelegenheit, um über das Kommunikationsverhalten nachzudenken und gemeinsame Regeln für das Unternehmen oder die Abteilung aufzustellen. Über Kenntnisnahme per cc: werde viel uneffektive Firmenpolitik gemacht. Mindestens die Hälfte dieser Mails könne man sich sparen, so der Spezialist für Büro-Kaizen.

Er rät ohnehin zur Unternehmensregelung: cc:-Nachrichten bedeuten zur Kenntnis. Wer also nach dem Urlaub von Mails überrollt wird, löscht die cc:-Nachrichten unbesehen. Sonst bleibe den Heimkehrern eben nichts anderes übrig, als die Mails abzuarbeiten. Seine Grundregel: Öffne jede Mail einmal und verarbeite sie gleich. Dazu gibt es fünf Möglichkeiten, nämlich löschen, delegieren, bearbeiten, was nicht länger als fünf Minuten dauert, archivieren oder in die Aufgabenliste eintragen. Sinnvoll ist auch, die aktuellsten Mails zuerst zu bearbeiten, denn in manchen Fällen hat dann die gesamte Kommunikationsgeschichte in einer Mail zusammen und die folgenden haben sich von selbst erledigt.