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Neue Bürowelten: Hey, wo ist denn mein Schreibtisch?
Strukturieren Unternehmen ihre Büros um, gibt es häufig weniger Arbeitsplätze als Beschäftigte. Klingt nach Ärger? Was beim Prinzip „Desksharing“ entscheidend ist.

Aber ich saß doch immer am Fenster! Und wo sollen meine Unterlagen und Familienfotos hin? In vielen Unternehmen hatten Beschäftigte jahrelang „ihren“ Schreibtisch. Mit der Pandemie und zunehmenden Homeoffice-Tagen basteln Unternehmen nun an Ideen für neue Arbeitswelten. Wenn zum Beispiel nicht alle jeden Tag ins Büro kommen, braucht nicht mehr jeder einen eigenen Schreibtisch. Stattdessen können sich mehrere Personen einen Arbeitsplatz teilen, den sie an verschiedenen Tagen nutzen.

Büros sind selten komplett ausgelastet
Dieses als „Desksharing“ bezeichnete Konzept ist eigentlich gar nicht neu. Es habe aber auch aufgrund der Corona-Pandemie an Attraktivität gewonnen, sagt Stephan Leimbach vom Immobilienberater Jones Lang LaSalle (JLL). „Nur ganz selten sind mehr als 40 Prozent der Schreibtische in einem Büro besetzt“, so der Experte für Bürovermietungen. Zu Spitzenzeiten seien es 50 Prozent. Mal ist jemand krank, ein Kollege ist auf Geschäftsreise, die Kollegin beim Kundentermin.

Neue Vorstellung von Arbeit und Leistung
Unternehmen geht es beim Desksharing aber nicht nur darum, Kosten zu senken, hat Nick Kratzer vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München festgestellt. Hinter dem Konzept stecke eine veränderte Vorstellung von Arbeit und Leistung. „Das ist die Entdeckung von Interaktion als Wertschöpfungspotenzial“, so Kratzer.
Die Grundidee sei eigentlich romantisch: Desksharing und Open-Space-Büros sollen zufällige Begegnungen und Austausch zwischen Beschäftigten fördern. „Im Idealfall werden Entscheidungen schneller gefällt, Informationen anders oder schneller transportiert, Ideen entstehen schneller“, sagt Kratzer.

Standardisiert oder individuell?
Was in der Theorie gut klingt, funktioniert in der Praxis nicht immer ohne Probleme. Zwar könne der erzwungene Wechsel etwa für Agilität sorgen und Kreativität stimulieren. Menschen würden aber auch Spielregeln und feste Rahmenbedingungen lieben, so Jürgen Kurz, Experte für effizientes Büromanagement. „Das erkennt man daran, wenn man sich den Parkplatz oder die Kantine anschaut, wo Menschen jeden Tag an der gleichen Stelle parken oder am gleichen Platz sitzen.“

Sanfte Umstellung: Start mit Pilotprojekt
Ob das Konzept akzeptiert wird, hängt insbesondere damit zusammen, wie es eingeführt wird. Dabei spielt auch die Frage eine Rolle, was die Mitarbeitenden gewohnt sind, sagt Leimbach. „Wenn das Unternehmen bislang sehr klassisch arbeitete und dann wird plötzlich umgestellt, ist das für die Angestellten ein sehr großer Schritt, der wehtut.“

Kratzer rät, Desksharing zunächst in einer Abteilung gemeinsam mit dem Team in einem Pilotprojekt umzusetzen. Klappt das gut, kann es ausgeweitet werden.

Jürgen Kurz zufolge muss zum Start vor allem das „Warum“ erklärt werden. Warum braucht man neue Arbeitsplätze? Was passiert mit der frei gewordenen Fläche? Ideal sei, wenn die freiwerdende Fläche für Rückzugs- oder Sozialräume genutzt werde. „Dann erkennen die Mitarbeiter, dass ihnen das auch wieder zugutekommt.“

Begrenzter Stauraum für Persönliches
Grundsätzlich sei die Umsetzung heute aber leichter als vor zehn Jahren, als noch mehr mit Papier gearbeitet wurde, so Immobilienexperte Leimbach. „Wer ständig seine Akten und Container von A nach B tragen muss, macht das nicht lange mit.“ Von der Idee, sich häuslich am eigenen Arbeitsplatz einzurichten, müssen sich Beschäftigte dennoch verabschieden. „Je flexibler ein Arbeitsplatz ist, desto standardisierter ist er auch“, sagt Kratzer.

Büroexperte Kurz hält es aber für wichtig, dass weiterhin jeder und jede begrenzten Stauraum für persönliche Dinge bekommt. Das kann zum Beispiel ein Rollcontainer sein. „Abends können diese Rollcontainer dann in einem ‚Bahnhof‘ geparkt werden.“ Alternativ kann es Schließfächer geben.

Für unendlich viel persönlichen Kram ist aber kein Platz. So kann nicht jeder morgens seine Schreibtischpflänzchen und Bilderrahmen aus dem Rollcontainer holen, um den Arbeitsplatz zu dekorieren. Laut Kurz sollte das Team hier Absprachen treffen, wie etwa eine Begrünung des gesamten Büros aussehen kann.

Konzentriertes Arbeiten schwierig
Desksharing heißt nicht nur, dass sich so mancher vom geliebten Schreibtisch oder Fensterplatz verabschieden muss. Auch konzentrierte Einzelarbeit sei häufig schwierig, sagt Kratzer. „Die Arbeit soll vertraulich sein, andererseits ist man in einer offenen Umgebung sehr transparent.“ Unternehmen sollten mit dieser Problemstellung spielen und sehen, wer was benötigt. Manche Beschäftigte müssen lernen, Geräusche auszublenden, andere einen Kopfhörer bekommen oder sich einen neuen Umgang mit Kollegen aneignen. „Dazu gehört auch, sich dem entziehen zu können, also eben zu Hause zu arbeiten“, so Kratzer.

Klare Regeln für die Buchung
Ist also in Zukunft jeder und jede morgens erst mal auf der Suche nach einem freien Tisch? „Nein“, sagt Kratzer, „das flexible Büro ist gar nicht so flexibel.“ Wer häufig da ist, hat einen Stammplatz. Menschen brauchen eine Heimat, sagt auch Leimbach. Für die Effizienz sei es ebenfalls besser, Abteilungen und Teams in einer Zone zusammenzulassen.

Auf den Plätzen könne dann beispielsweise eine grüne Karte liegen, die zeigt: Der Tisch ist sauber. Wer da war, dreht sie um. Die Reinigungskräfte sehen: Hier muss geputzt werden.

Häufig gibt es laut Leimbach dann App-Lösungen oder QR-Codes auf den Schreibtischen, sodass man im System eingebucht ist und jeder sehen kann, dass man vor Ort ist. „Das muss natürlich datenschutzkonform sein.“

Das Telefon läuft über das Internet, jeder und jede behält die eigene Nummer. Dann heißt es Laptop an die Dockingstation anschließen, Bildschirm, Maus und Tastatur liegen bereit und los geht’s. dpa