wissensmanagement – E-Mails, Fluch oder Segen für die Wissensarbeit?

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E-Mails sind grundsätzlich eine tolle Sache. Aber inzwischen sind sie für viele Wissensarbeiter zur Plage geworden: zu viele Informationen, zu lange Suchzeiten und zu häufige Arbeitsunterbrechungen. Ein Hilfsmittel sind sie vor allem, wenn unternehmensintern gemeinsame Regeln des Umgangs und der Ablage vereinbart und eingehalten werden.

Unwichtiges radikal aussortieren

„Ich schaue öfter schon vor dem Frühstück in meine Mails“, erzählt Stephan Schneider. Allerdings treibt ihn weniger der Informations-Hype ins Netz. Vielmehr sondiert der strukturierte Ingenieur, was am Tag auf ihn zukommt und schmeißt Spams und Unwichtiges gleich weg. Damit reduzieren sich eine durchschnittlich 60 Mails um die Hälfte. Der Inhaber der Umformtechnik Radebeul (UFT) delegiert konsequent Projekte und Aufgaben an seine Führungskräfte und Mitarbeiter und will nur Wesentliches über diese Dinge wissen. Mit der Konsequenz, dass die scheinbar spärlichen 30 Mails meist dicke Bretter sind: Vertragsentwürfe, Konfliktfälle, Grundsätzliches.

Zweite wichtige Regel: Vor Arbeitsschluss nochmals die Mails anschauen. Das kann dann schon unangenehm werden, wenn statt frühem Dienstschluss um 16 Uhr und sportliches Ausklang beim Inline-Skaten der Tag um d22 Uhr endet und es längst dunkel ist. „Ich arbeite seit 1994 mit Mails“, berichtet Schneider, „das ist für mich anders nicht mehr vorstellbar.“ Als angestellter Ingenieur kämpft er täglich mit 80 Mails. War er in Asien unterwegs, seien die Online-Kosten manchmal doppelt so hoch gewesen wie die Übernachtungskosten. Während sich die Kosten mit den Jahren extrem verringert haben, ist dagegen die Mail-Flut dramatisch gewachsen. Umso wichtiger, klare Regeln zu schaffen und den Umgang mit der digitalen Post zu strukturieren, sonst gehen Geschäftsführer, Führungskräfte oder Wissensarbeiter unter.

Büro-Kaizen: Klare Regeln für die digitale Post

Damit beschäftigt sich etwa Jürgen Kurz seit Jahren intensiv. Der Geschäftsführer von Tempus-Consulting spricht dann von Büro-Kaizen: Was in der industriellen Produktion längst üblich ist, zieht in die Verwaltung und Organisation erst langsam ein. Nämlich die Veränderung zum Besseren. Denn laut Experten sprechen zwei Drittel der deutschen Unternehmen intern nicht ab, wie Daten und Akten abgelegt werden. Anfang des Jahres veröffentlichte die Leipziger AKAD-Hochschule zusammen mit Tempus die größte Online-Befragung im deutschsprachigen Raum zur Arbeitseffizient im Büro. Ein Ergebnis: 13 Prozent der Arbeitszeit geht mit der Suche nach Unterlagen verloren.

Deshalb tourt Effizienz-Experte Kurz seit Jahren durch Deutschland. In Vorträgen, Seminaren und Firmencoachings erklärt er jährlich mehreren tausend Menschen, wie sie ihr E-Mail-Postfach und ihren Schreibtisch organisieren. Und vor allem, wie beides auch in hektischen Zeiten übersichtlich bleibt. Feste Lesezeiten, Mails verarbeiten statt nur lesen oder etwa löschen auf Probe lauten seine Empfehlungen. Bei der Ablage plädiert er nicht für eine vorgegebene und feste Ordnung, vielmehr setzt er auf die Logik des Unternehmens und seiner Mitarbeiter. „Jede Firma hat eigene Abläufe und Prozesse, die sich aus dem Alltag entwickelt haben“, weiß Kurz, „vor allem wenn Mitarbeiter gemeinsam verbindliche Regeln vereinbaren, sind sie motivierter, diese auch einzuhalten“. Wo eine Mail liegt sei schließlich egal, entscheidend sei, dass alle betroffenen Mitarbeiter sie an dem Platz wiederfinden.

Um damit zurück zu Stephan Schneider und der Umformtechnik Radebeul. Das Unternehmen ist nämlich genau auf diesem Weg: ES existiert ein Dokumentenmanagement-System mit strukturierten Verzeichnissen und Unterverzeichnissen. So funktioniert die Produktion längst papierlos und wenn eine neue Charge beim Spezialist für dünnwandiges Aluminium geschmiedet werden muss, greifen alle auf die aktuellen Daten zu, ob in der Schmiede, der Nacharbeitung oder Qualitätskontrolle. Die Mails von Kunden oder Lieferanten sollen im kommenden Halbjahr ebenfalls in das System integriert werden, sodass längere Suchzeiten und individuelle Ablagesysteme ein Ende haben.

E-Mails sind kein Ersatz für mündliche Kommunikation

„E-Mails sind ein Hilfsmittel, schnell und informativ“, sagt Schneider, aber die direkte Kommunikation ersetzen sie nicht. Wenn intern zu viele Mails hin und her gehen, vermutet er, dass etwas nicht stimmt, sich Kollegen aus dem Weg gehen. Für sich hat er eine Faustformel entwickelt: Gehen fünf Mails hin und her, um etwas zu klären, greift er zum Telefonhörer. Reichen fünf Telefongespräche nicht, um eine Missverständnis auszuräumen, besucht er Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartner. „So entwickle ich wieder ein Gefühl für mein Gegenüber, derjenige wahrscheinlich auch für mich und dann haben wir wieder eine vertrauensvolle Basis für die kommende Zeit“, so der 57-jährige Unternehmer.

So ticken wohl auch viele Wissensarbeiter, wie die Studie „Wissensarbeiter und Unternehmen“ des Personaldienstleisters Hays aus dem vergangenen Jahr belegt. Denn während viele Firmen mit internen Social-Media-Plattformen experimentieren und viel Geld in die Organisation und in Kommunikationsmaßnahmen investieren, um ihre Experten stärker zu vernetzen und so die innovative Kraft des Hauses hochzuhalten, setzen ihre Wissensarbeiter auf den direkten Kontakt. Mit deutlichem Vorsprung nennen sie Fachkonferenzen und -workshops (69 Prozent) sowie Messen (44 Prozent) als wichtigste Instrumente, um den Kontakt mit Kollegen zu halten. Deutlich abgeschlagen folgen Verbandsmitgliedschaften fast gleichauf mit unternehmensinternen oder –übergreifenden Social-Media-Plattformen. Auch bei Führungskräften steht der persönliche Austausch (58 Prozent) weit vor Wissensdatenbanken und Meetings, die wiederum deutlich vor Social-Media-Anwendungen rangieren.

Persönliches Gespräch statt Xing & Co.?

Unternehmenssprecher Frank Schabel ergänzt: „Je höher die Berufserfahrung – und damit tendenziell das Alter – desto seltener nannten die festangestellten Wissensarbeiter unternehmenseigene Social-Media-Plattformen als Mittel der Vernetzung.“ Genauso wenig räumen die Befragten den öffentlichen Business-Netzwerken und den gängigen Netzwerken wie Facebook, Twitter & Co. viel Bedeutung beim Networking ein.

Während Führungskräfte betonen, wie wichtig die Vernetzung für die Wissensarbeit ist, setzen drei Viertel der befragten, festangestellten Wissensarbeiter mehr auf die eigenen Fähigkeiten und Weiterbildung als auf das Vernetzen mit Experten. Schabel: „Da müssen Unternehmen ihre Strategie nochmals überprüfen.“

Ganz anders verhalten sich freiberufliche Wissensarbeiter: Die beanspruchen öffentliche Business-Netzwerke wie Xing oder LinkedIn deutlich mehr (56 Prozent) als Festangestellte. Diese Affinität zu Social Media ist für den Hays-Sprecher ein Hinweis darauf, dass Freiberufler ihre Rolle als flexible Wissensarbeiter leben, die nicht an eine Organisation gebunden sind. Interessant ist hier, dass klassische Mail als Informations- und Austauschmedium keine Rolle spielen.

Klare Strukturen helfen, müssen sich aber erst etablieren

Während mancher gestresste Büromenschen sich durch Bewegungen am Bildschirmrand oder Geräusche ablenken lässt, beherrscht Evi Rodemann ihren Arbeitsplatz. Bis zu 50 elektronische Nachrichten erhält die Assistentin des Vorstandes der Trimet Aluminiumwerke täglich – Spam mitgerechnet. Dass sie die vielen Mails nicht vom Erledigen der eigentlichen Arbeit abhalten, hat einen Grund: Rodemann hat aufgeräumt. Und klare Strukturen geschaffen.

Denn Evi Rodemann und ihre Kollegen richteten neben dem E-Mail-Programm Lotus Notes ein separates Laufwerk ein. Strukturiere nach verschiedenen Ordnern legen seither alle 300 Mitarbeiter einheitlich alle Protokolle, allgemein zugängliche Mails und Mitarbeiterpläne nach vorgegebenen Ziffern ab. Das schafft Luft im E-Mail-Postfach. Auch wurde vereinbart, dass alle alten Mails ungeprüft in ein Archiv wandern. „Seither hat mein Chef seinen Posteingang von mehr als 4.000 dauerhaft auf 25 E-Mails reduziert“, beschreibt Rodemann die Aufräumaktion.

Zudem stellten die Trimet-Mitarbeiter Spielregeln im Umgang mit Mails auf. Eine besagt etwa, dass auf eine elektronische Nachricht zwar nicht sofort, aber innerhalb von 36 Stunden reagiert werden muss. Oder dass die Betreffzeile nicht leer bleibt, sondern dort bereits das konkrete Anliegen steht. Etwa „Beamer ausleihen, 2. März, 14 Uhr?“ oder „Bitte Kalkulation/Angebot 2013-0555 prüfen, Freigabe bis Freitag“. Sinnvoll findet sie auh die Vereinbarung, wie ein „Cc“ gesetzt wird und was das „in Kopie setzen“ bedeutet: „Nämlich, nicht darauf zu reagieren, sondern eine Nachricht lediglich zur Kenntnis zu nehmen“, wie Rodemann erklärt.

Und schließlich muss die Ordnung am Leben gehalten werden. Bis sich die Änderungen als Gewohnheit einschleifen, rät Kurz, dass die Kollegen unter sich einen Kaizen-Beauftragten ernennen, der mit hartnäckigem Charme und Fotos zur Ordnung ruft, wenn im Alltag E-Mail-Fächer oder Schreibtische überquellen. Wirklich vollendet sei Kaizen, wenn es als kontinuierlicher Verbesserungsprozess etabliert ist.


Anmerkungen
[1] Tipps für Ordnung im E-Mail-Fach unter: www.buero-kaizen.de/download-center/


Der Autor
Achim Ühlin, Jahrgang 1965, ist freier Journalist aus Heilbronn. Nach seinem Studium der Germanistik und Anglistik (M.A.) sowie einem Volontariat war er zunächst lange Jahres als Pressesprecher im Gesundheitswesen und einer wirtschaftsnahen Institution tätig. Heute schreibt er unter anderem für verschiedene Fachmagazine mit technischem und wirtschaftlichem Schwerpunkt.
uehlin@wissensmanagement.net