Neu-Ulmer Zeitung – Simplify your Schreibtisch

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Neu-Ulm Ich habe es in ihren Augen gesehen: „Häh?”, dachten meine Kollegen. „Büro-Kaizen? Was soll denn der Schmarrn? Wieder so 'ne Idee vom Chef”. So offen ausgesprochen hat es (natürlich) keiner, als ich die Redaktionsmitglieder zu einem Vortrag zum Thema „Büro-Kaizen” gebeten habe. Aber die Augen...

Und dann war er da, der Herr Kurz von der Firma „tempus” in Giengen. Und er erzählte uns viel über Ordnung und Sauberkeit, über Büroorganisation, vereinfachte Arbeitsabläufe, Selbststeuerung durch Eigenverantwortung und über eine angeblich zu erwartende Steigerung der Arbeitseffizienz um satte 20 Prozent. Und das alles ohne wirklich gravierende Änderungen, nur durch eine neue Systematik? Welcher Vorgesetzte würde da nicht sofort zupacken.

Moment mal. Bisher dachte ich immer, ich wäre sowieso schon ordentlich (Naja, mehr oder weniger) und gut organisiert. Büro-Kaizen? Brauch ich nicht!

Oder doch?. Ich höre Jürgen Kurz zu – und muss mehr als einmal schmunzeln – über mich selbst. Ich fühle mich irgendwie ertappt, ohne ein wirklich schlechtes Gewissen zu haben. Sind wir nicht alle ein wenig schlampig? Hat nicht jeder so seine „Gruschtel-Schublade” in der er auf einen Griff alles sofort findet – ein anderer jedoch auch nach verzweifelter Suche gar nichts? Und außerdem: Der Schreibtisch des Kollegen ist doch noch viiiiiel unordentlicher...

Stimmt, sagt Jürgen Kurz. Er kennt all diese Argumente nur allzu gut, schließlich berät er seit Jahren namhafte Firmen und stößt dabei immer zunächst auf eine mehr oder weniger ausgeprägte Skepsis und Ablehnung. Dabei geht es beim „Büro-Kaizen” um Ziele, die jeder Mitarbeiter ohne zu zögern sofort begrüßen wird:

Vermeidung von Verschwendung? Klar! Reduzierung der Suchzeiten? Aber sicher! Verringerung der Durchlaufzeiten? Ein Segen! Optimierung des Systems? Super! Verringerungen der Schnittstellen? Hurra! Schnelle Reaktion auf Kundenwünsche? Prima! Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit? Wer wünscht sich das nicht!

Also haben Mitarbeiter und Unternehmen Vorteile – und das alles verbunden mit einer Steigerung der Effektivität um sage und schreibe ein Fünftel? Ganz ehrlich: Das glaub' ich nicht! Noch nicht...

In vier Stufen soll sich diese Verbesserung vollziehen, sagt Jürgen Kurz. Und gleich die erste Stufe ist (für manchen mehr, für einige weniger) fast schmerzhaft: Ordnung und Sauberkeit. Auweia!

Ordnung und Sauberkeit

Jürgen Kurz zeigt uns Bilder von Schreibtischen. Und plötzlich kichern alle. Es sind zwar nicht unsere Schreibtische, aber sie sehen aus wie unsere: proppenvoll, ein Stapel übereinander gestapelter Plastik-Fächer, natürlich alle übervoll. Man hat ja viel zu tun und jeden Tag kommt soooo viel rein...

In der Ecke ein Stapel Fax-Papier gegenüber der Eingangstür, den irgendwann jemand mal dahin gestellt hat - und seither ist das eben der Platz für das Fax-Papier. Dass jeder Besucher automatisch darauf blickt, dass es einfach unordentlich aussieht, das hat bisher keiner von uns bemerkt. Und außerdem steht das Faxgerät im Nebenraum, also muss fehlendes Papier jedes Mal extra geholt werden. Aber der Papierstapel stand doch schon immer da...

Zettelchen, Telefonnummern, Memos, Erinnerungsfotos

Auf dem Schreibtisch des Kollegen liegt eine Schreibunterlage. So eine, wie sie auf fast jedem Schreibtisch eben liegt, sie hat ja schließlich ihren Namen auch daher. Was ist denn daran auszusetzen? Jürgen Kurz zieht die unzähligen Zettelchen und Post-It unter der Klarsichthülle hervor. Telefonnummern, Memos, ein Ausriss aus einer Zeitung, Bilder von der Freundin, was man halt so braucht. Aber - wie oft wurden diese Fitzelchen denn wirklich gebraucht? Hmmmm, der Kollege überlegt. Eigentlich....

Wäre es da nicht besser, diese Kleinigkeiten würden irgendwo sortiert und abgelegt, fragt Jürgen Kurz. Recht hat er, der Mann. Nur, wohin damit? Kurz rät zu einer Art nummerierten Hängeregistratur, geordnet nach Prioritäten: Das Wichtigste im Fach 1 – und so weiter. Der Vorteil: Plötzlich findet man Dinge sofort, nach denen vorher umständlich gesucht werden musste.

Und dann kommt der schmerzhafteste Eingriff des Herrn Kurz: Das „Aussortieren unnötiger Dinge”. „Entferne alles, was nicht benötigt wird”, rät der Kaizen-Profi. Es gebe jede Menge Dinge in Schubladen, Schränken und Regalen, die einem zwar ans Herz gewachsen sind, aber seit Jahren nicht mehr gebraucht werden. Oder sogar noch nie gebraucht wurden. Und dann geht's los: Was nicht mehr gebraucht wird, kommt weg!

Die Vitaminpillen, die ich seit Jahren in meiner Schreibtischschublade horte (aber noch nie eine genommen habe)? Raus! Ein Fläschchen Wildrosen-Cremebad? Keine Ahnung, woher ich das habe. Also raus damit: alte Fotos, alte Artikel (etwa eine Million, grob geschätzt) . Außerdem finde ich in meinem Schreibtisch: Drei Scheren (die ich dauern gesucht habe), ungefähr 50 Kugelschreiber (alle ausgetrocknet), einen Telefonvertrag (den ich neulich händeringend gesucht, aber nicht gefunden habe), ein Handy-Ladegerät (ich hab mir ein neues gekauft, weil ich das Teil nicht mehr gefunden hatte) - und noch einige andere Dinge, die ich an dieser Stelle besser nicht beschreibe. Alles raus? Mein Herz blutet. Aber wenn ich ehrlich bin: Die meisten Dinge hab ich seit Monaten nicht mehr angefasst....

Irgendwann sieht mein Schreibtisch anders aus. Mein Bauch sagt: Vorher war er irgendwie gemütlicher. Mein Hirn sagt: Quatsch! Mein Blick konzentriert sich auf den Bildschirm.

Der war bislang eingerahmt von kleinen gelben Post-It's, diesen gelben Merkzettelchen. Die sind jetzt alle weg, die dort hingekritzelten Telefonnummern, Zugangsdaten und Passwörter habe ich fein säuberlich in mein neues Telefonverzeichnis eingetragen.

Plötzlich fühle ich mich gar nicht mehr abgelenkt, ich kann mich auf das Wesentliche konzentrieren, signalisiert mir mein Verstand. Nur ganz tief drinnen, da grummelt es noch ein ganz klein wenig. Ich fühl mich ein bisschen wie der Schul-Streber, der dem Lehrer die Tasche zum Auto trägt. Ein wenig stolz, aber im Grunde überführt...

P.S.: Eins habe ich begriffen, Kaizen ist nichts „Fertiges”, sondern ein Weg, der ständig neue Herausforderungen stellt. Und ich bin ja erst am Anfang des Weges der „Philosophie der permanenten Veränderungen”. Ein weiter Weg...

www.büro-kaizen.de