Münchner Merkur – Büro 2020

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Wie ein leerer Tisch zum Erfolg führt

„Graue Lager wird es im Büro der Zukunft keine mehr geben“, sagt Jürgen Kurz. Der Mann muss es wissen. Kurz ist Deutschlands Büro-Cleaner Nummer eins. Er hat Bücher wie „Für immer aufgeräumt“ geschrieben und gibt auf Youtube Tipps zur Ordnung am Arbeitsplatz. Seit kurzem spricht der 51-Jährige von einem neuen Trend: „Büro-Kaizen“. Kaizen ist Japanisch und bedeutet so viel wie Veränderung zum Besseren.

Toyota wendet die Methode des stetigen Optimierens im Autobau an und hat sie weltweit bekannt gemacht. Ein Element daraus ist das Leeren grauer Lager. In Werkshallen gammeln dort kaputte Werkzeuge oder halbvolle Kaffeebecher vor sich hin.

In Büros quellen aus Schubladen Uraltformulare oder gar Schimmelbrote. Gemein haben die privaten Depots, dass sie den Eigentümer suchen lassen. 70 Tage Arbeitszeit frisst das graue Chaos pro Jahr, haben Fraunhofer Forscher errechnet. Dabei suchen Büroarbeiter längst nicht nur in Schubladen und hinter Schränken. „Die größte Unordnung herrscht in vielen Firmen auf Laufwerken“, sagt Johannes Woithon.

Datenmüll, nennt der Gründer von orgavision die Gebirge an Dokumenten, die in Gigabytgröße auf Servern lagern. Vieles, was gespeichert werde sei veraltet oder unvollständig, so der Softwareexperte. Auch er beziffert das Fahnden auf mindestens 1,5 Stunden pro Mitarbeiter und Woche. Dass damit bald Schluss sein soll, glauben beide Experten.

Neuste Software lässt Daten-Chaos nicht mehr zu. Statt vieler Versionen einer Excel-Liste oder eines Word-Dokuments erstellen die Programme Historien wie sie von Wikipedia bekannt sind. Zudem regen Kommentarfunktionen zur Diskussion an, was wiederum Ideen produziert. Damit kommt die kontinuierliche Verbesserung in Gang, Kaizen lässt grüßen. Und statt aufwändiger bstimmungsschleifen via E-Mail erhalten Autoren Lesebestätigungen – was wiederum die Flut an elektronischer Post eindämmt. Beim Schreiber und beim Empfänger.

Selbst die Iso-Normierer haben erkannt, welches Potenzial in einer strukturierten, elektronischen Dokumentenablage schlummert. In der jüngst überarbeiteten Norm 9001 weisen sie explizit darauf hin: Mehr Transparenz und nachvollziehbare Wege im Dokumentenmanagement seien Pflicht für alle 50 000 Firmen in Deutschland, die das Siegel habe und weiterhin wollen. Darüber hinaus sieht Experte Kurz einen weiteren Trend aus Industriehallen ins Büro schwappen.

„Shop Floor Management“ sagen dazu die Einen, „greifbare Kommunikation“ die Anderen. Im Kern steckt dahinter: Sichtbar machen durch visualisieren. Schautafeln in Bürofluren und einfache, nachvollziehbare Kennzahlen können Maßnahmen sein. Es geht darum, Mitarbeitern komplexe Prozessketten aus Lieferanten, Kunden und internen Prozessen zu entwirren und für den Einzelnen verständlich zu übersetzen. Kurz verdeutlicht: „Statt Diktat von oben, sollen Kollegen im Team eigenständig entscheiden, wie sie etwa mit Reklamationen umgehen.“ Das Management gibt Leitplanken vor, ergänzt Woithon. Also beispielsweise die Beschwerdequote pro Jahr um drei Prozent zu senken. „Den Weg und die Meilensteine dorthin sollen Kollegen überlegen und festzurren“, erklärt der Berliner Berater. Dazu gehöre es dann auch, Reklamation und deren Erledigung zu festzuhalten. Am besten dokumentiert in einer Management-Software für alle Mitarbeiter les- und nachvollziehbar. Ändern sich mit der Zeit Abläufe, Ansprechpartner oder Konditionen, gilt es dies wiederum zu kommunizieren. Auch hier greift diese Art der Software, weil sie beispielsweise daran erinnert, Kunden vier Wochen nach Erledigung der Beschwerde anzurufen, um zu hören ob sie zufrieden sind.

Kurz sieht hierin wiederum einen Kaizen-Prozess: „Beschwert sich ein Kunde, ist das immer auch eine Chance“, verdeutlicht der Bestsellerautor. Allerdings nur, wenn Firmen eine Fehlerkultur leben. Das bedeute, dass Fehler nicht verurteilt und Verursacher nicht beschämt würden. Nur so hätten Mitarbeiter das Vertrauen, Missstände anzusprechen. Herrsche in Firmen hingegen eine Kultur des Vertuschens, können schmerzhafte Schäden entstehen. Wie der Diesel-Skandal beweist.