Der Tagesspiegel – Ordnung ins Chaos bringen

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Wenn sich das Papier stapelt, klappen auch Arbeitsabläufe oft nicht mehr richtig. Seminare zur Büroorganisation können helfen.


Eines Tages kam Tobias Zahn in sein Büro und merkte: „Es sah aus wie Sau.“ Er und seine sieben Mitarbeiter hatten sich damals sichtbar über die 150 Quadratmeter ihres schönen Altbaubüros ausgebreitet. Papierstapel und Büromaterial, dazwischen Familienfotos, türmten sich auf den Schreibtischen und auf dem Boden. Ein großes Projekt stand an, außerdem war für die baden-württembergische Veranstaltungsagentur Hochsaison, das Weihnachtsgeschäft stand vor der Tür. „Ich habe mir dann gesagt: So können wir hier unsere Kunden nicht empfangen“, sagt Zahn.

Die Erkenntnis kam Ende 2008. Im folgenden Januar nahm Zahn das Problem in Angriff und bestellte professionelle Hilfe in seine Agentur – den Organisationsberater Jürgen Kurz. Der sagt: „Jeder hat schon einmal seinen Keller aufgeräumt und nach einem halben Jahr sah es wieder so aus wie vorher.“ Sein Leitspruch lautet deshalb: „Wir geben allen Dingen eine Heimat.“ Auf diese Weise, sagt er, reiche einmal aufräumen – und dann nie wieder. Tobias Zahns Agentur ist inzwischen auf 30 Mitarbeiter gewachsen. Die Ordnung aber ist geblieben.

Als junger Mann hatte Zahn, der heute 33 Jahre alt ist, sich selbstständig gemacht. „Ich habe die Arbeit gemacht, wie ich es wollte, aber ich habe es nie gelernt“, sagt er. Nach dieser Art arbeiteten auch seine Mitarbeiter: jeder für sich. Über die Jahre entstand das Chaos. „Wenn mal wieder jemand krank war, war es schwierig, das Geschäft am Laufen zu halten, weil jeder seine eigene Struktur hatte“, sagt Zahn.

Das Chaos am Schreibtisch kennen nicht nur Selbstständige – es regiert auf vielen Arbeitsplätzen. In der Selbstständigkeit lauert sie jedoch besonders, die Gefahr, einen langsam wachsenden Betrieb in seinen Abläufen sich selbst zu überlassen. Die Überwindung, das Durcheinander anzugehen, ist groß – zudem sehen geeignete Strukturen für jeden Unternehmenstyp anders aus. Daher gibt es ein großes Angebot an professioneller Hilfe beim Gestalten der Büroorganisation, sei es in Form von Seminaren oder mit Beratern, die direkt ins Unternehmen kommen.

Mit Hilfe von Jürgen Kurz haben Tobias Zahn und seine Mitarbeiter ausgemistet und dabei etwa einen ganzen Müllcontainer abtransportiert. Zahn sagt: „Da ist mir dann erst einmal aufgefallen, dass wir zum Beispiel Briefumschläge für die nächsten drei Jahre gehortet haben.“ Anschließend wurde für alles Übriggebliebene ein fester Ort bestimmt. Jürgen Kurz sagt: „Und sei es die Kiste mit dem Aufkleber ‚Steuerberater' – ich weiß, hier kommt alles rein, was es an Rechnungen und Kontoauszügen gibt.“

Auch Heike Kobold stellt in ihren Seminaren verschiedene Ordnungssysteme vor. An Berliner Volkshochschulen leitet sie den Kurs „Das gut organisierte Büro“, außerdem kann man sie über die „Organisationsagentur Kobold“ buchen. Der VHS-Wochenendkurs kostet 45 Euro und gibt den Teilnehmern Anregungen, wie sie ihren Arbeitsplatz gestalten können. „Jeder Teilnehmer sollte ein eigenes Ordnungssystem entwickeln, mit dem er gut arbeiten kann“, sagt Kobold. „Das kostet Mühe und Zeit, aber umso besser funktioniert es dann.“ Manche Leute tendieren für ihre Ablagesysteme zu Zahlen, andere zu Buchstaben, die nächsten zu Farben.

„Ich bin eher der Zahlentyp“, sagt Bernd Rosin, 48, Sachverständiger für Immobilienbewertung in Brandenburg. Am vergangenen Wochenende hat er einen Kurs bei Heike Kobold besucht und macht sich jetzt Stück für Stück ans Aufräumen. „Jeden Tag eine halbe Stunde“, sagt er. Seit 1995 ist er als Freiberufler tätig – seit 1999 im selben Büro. „In dieser Zeit hat sich allerhand Papier angesammelt“, sagt er.

In der Woche nach dem Seminar hat er zunächst die Papierberge auf seinem Schreibtisch abgearbeitet und sich ein Hängeregister mit Reitern für die einzelnen Aufträge besorgt. „Wenn jetzt ein Kunde anruft, dann muss ich nicht mehr sagen: Moment, ich rufe in einer halben Stunde zurück, sondern ich habe die Unterlagen sofort zur Hand.“

Auch die genaue Kenntnis der betrieblichen Prozesse kann gerade bei kleinen Unternehmen entscheidend sein, um den Kopf über Wasser zu halten. Die Handwerkskammer Frankfurt (Oder), Region Ostbrandenburg, integriert deshalb in den Kurs „Qualifizierte Büroarbeit“ auch Fragen wie die Anforderungen des Schriftverkehrs mit Behörden und Kunden oder Anfertigungen von Personalakten und Lohnunterlagen. „Je nachdem, was die Teilnehmer nachfragen“, sagt Klaus-Dieter Franz, Weiterbildungsberater der Handwerkskammer.

Der Kurs dauert acht Stunden und kostet 133 Euro. Franz rät jedem, der mehr als drei Papierstapel auf seinem Schreibtisch beherbergt, dazu, die eigene Organisation zu überdenken. „Entsteht der vierte Stapel, sollte man was tun“, sagt er. Er kenne sogar Fälle, bei dem nicht einmal mehr für Tastatur und Maus genügend Platz sei.
Beim privaten Berliner Anbieter Gesellschaft für Personalentwicklung und Bildung (GPB) kann sich jeder, der mit der Büroarbeit überfordert ist, ein individuelles Programm zusammenstellen. In einem Beratungsgespräch werden vorher die benötigten Schwerpunkte ermittelt. Im Bereich kaufmännische Assistenz gibt es Module wie „Büroorganisation und -führung“, „Bürowirtschaft“, „Kaufmännischer Schriftverkehr“. Jedes einzelne Modul kostet 206 Euro und ist in Selbstlerneinheiten gegliedert, die die Teilnehmer in den Schulungsräumen in Neukölln und Mitte innerhalb von einer Woche selbstständig bearbeiten.

Ist die passende Ordnung gefunden, gilt es, sie diszipliniert zu verfolgen. Die Versuchung, in die alten Muster zurückzufallen, sei oft groß, wenn er Stress bekomme, sagt Tobias Zahn. Doch er weiß, was er dann zu tun hat: „Ich trage mir direkt in meinen Kalender ein, wann ich mich hinsetze, mein Handy ausschalte und die Ablage bearbeite.“

Das Ordnungssystem hat sogar inzwischen Eingang in sein Privatleben gefunden. Seine Frau habe ihn anfangs dafür belächelt, sagt Zahn. „Aber wir haben zwei kleine Kinder, die sind zwei und vier – da ist es sehr hilfreich, immer zu wissen: Da ist der Schlüssel und da ist der Geldbeutel.“ Tobias Zahn sagt, er sei alles andere als penibel. Aber die Ordnung, die sei wirklich eine Erleichterung.


Franziska Felber