Business&IT – Der Weg aus dem Chaos

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Leider herrscht in vielen Büros die Praxis „Keiner hat Zeit zum Aufräumen – aber jeder hat Zeit zum Suchen“. Während in der Produktion der Gedanke der ständigen Verbesserung längst Normalität geworden ist, wurden Büroarbeitsplätze lange von jeglicher Prozess-Optimierung verschont. Hier schlummern meist noch riesige Potenziale.

Prozess-Optimierung – das ist das Zauberwort für viele Unternehmen. Regelmäßig werden mehrstündige Meetings angesetzt, in denen sich die Mitarbeiter den Kopf darüber zerbrechen, welche Schwachstellen und Potenziale es in den betrieblichen Abläufe noch gibt und wie sich Ressourcen besser nutzen lassen. In der Produktion und Fertigung ist das längst Normalität geworden – Prozesse und Abläufe werden kontinuierlich überprüft und optimiert.

Doch warum sollte eine ständige Verbesserung nur in Produktions- und Werkhallen und nicht auch in den Büros der Unternehmen funktionieren? Viele Firmen geraten durch Verschwendung, schlecht organisierte Abläufe und Ineffizienz in den Büros unter Druck, auch wenn sie gute Produkte und Dienstleistungen haben. Die Mitarbeiter müssen die zunehmende Arbeitslast bewältigen, was oftmals zu Unzufriedenheit, Stress und Überlastung führt. Die Optimierung von Prozessen im Büro ist somit keine Option, sondern unabdingbare Voraussetzung, um das Überleben des Unternehmens zu sicher.

Büro-Kaizen

Die Lösung heißt „Büro-Kaizen“: Das ist keine neue asiatische Kampfsportart für das Business, sondern eine Methode zur ständigen Prozess-Optimierung im Unternehmen. Der Begriff „Kaizen“ stammt aus dem Japanischen. Er setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: „kai“ (Veränderung) und „zen“ (gut bzw. zum Besseren). Kaizen ist ein pragmatischer Prozess ständiger Verbesserungen, der sich in Form vieler kleiner Schritte vollzieht. Die einzelnen Maßnahmen sind vergleichsweise einfach zu realisieren, da sie nicht mit aufwendigen technologischen Umgestaltungen verbunden sind, keine hohen Investitionskosten verursachen und ihr Risiko überschaubar ist.

Bekannt geworden ist dieser ständige Verbesserungsprozess Anfang der 90er-Jahre, als eine weltweite Studie zum Vergleich von Automobilherstellern angefertigt wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurden Autos in Japan im Ergebnis von Kaizen-Prozessen 20 Prozent schneller, 20 Prozent billiger und 20 Prozent besser hergestellt als irgendwo sonst auf der Welt. Die Übertragung nach Deutschland, aber auch in die USA, brachte ähnliche Verbesserungen.

Diese Prinzipien lassen sich auch auf das Büro übertragen, nach dem Motto: „Was für die Produktion gut ist, kann für die Verwaltung nicht schlecht sein.“ Ob in der Produktion oder im Office – Kaizen deckt Probleme auf, die den Menschen in den Büros gar nicht bewusst sind.


ALLES BEGINNT MIT EINEM AUFGERÄUMTEN SCHREIBTISCH: „EIN LEERTISCHLER“ ARBEITET WIRKSAMER ALS „VOLLTISCHLER“.


Fünf Stufen zu mehr Erfolg

Das Ziel von Büro-Kaizen ist die schrittweise, aber fortlaufende Verbesserung. Diese wird in fünf aufeinander aufbauenden Stufen erreicht. Sie vollzieht sich vom einzelnen Mitarbeiterschreibtisch über die Prozesse in den Abteilungen bis hoch in die betriebswirtschaftlichen Prozesse der Führungskräfte.


Stufe 1: Entrümpeln Sie!
In der ersten Stufe geht es darum, eine „Basis“ für Verbesserungen – das heißt: Ordnung und Sauberkeit – in den Abteilungen zu schaffen. Dazu wird systematisch alles aussortiert und weggeworfen, was nicht mehr gebraucht wird. Überfordern Sie sich nicht, indem Sie gleich das gesamte Büro ins Visier nehmen. Wenn Ihr Schreibtisch Mittelpunkt Ihrer Arbeit ist, beginnen Sie hier. Es ist eines der ältesten Erkenntnisse des Zeitmanagements: „Leertischler“ arbeiten wirksamer als „Volltischler“.

Stufe 2: Schaffen Sie Spielregeln!
Wenn Sie die nicht benötigten Dinge entsorgt bzw. archiviert haben, ergibt sich in der zweiten Stufe zwangsläufig die nächste Aufgabe: Die übrig gebliebenen Unterlagen und Büroutensilien müssen so organisiert werden, dass sie künftig schnell und problemlos gefunden werden. Ganz nach dem Motto „Alles hat einen Platz, alles hat seinen Platz“.
Dazu werden Spielregeln festgelegt, die jeder kennt und jeder einhält. Auf das Büro übersetzt heißt das, dass für alle Dinge, seien es Notizzettel, die Eingangspost oder sonstige Utensilien und Unterlagen, der ideale Platz gefunden werden muss.

Stufe 3: Setzen Sie die Verschwendungsbrille auf!
Nachdem Sie die Spielregeln festgelegt haben, geht es in der dritten Stufe nun darum, die Prozessabläufe im Unternehmen zu durchdenken. Nehmen Sie dazu die Prozesse in ihrer Gesamtheit in den Blick und analysieren Sie die Folgen ihrer Abläufe.
Sie können recht einfach erkennen, ob ein (Teil-)Prozess optimiert werden kann: Fragen Sie danach, ob die jeweilige Tätigkeit Wertschöpfung bedeutet, das heißt, ob der Kunde dafür bezahlt. Dort, wo die Antwort „Nein“ lautet, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass hier Verschwendung besteht und damit ein Ansatzpunkt für Verbesserungen gegeben ist.

Stufe 4: Wertschätzen Sie die Leistung Ihrer Mitarbeiter!
In der vierten Kaizen-Stufe geht es nun um das größte Potenzial im Unternehmen: um die Mitarbeiter. Ziel ist es, dass alle Mitarbeiter die festgelegten Spielregeln einhalten und ständig verbessern. Dazu müssen Sie als Führungskraft das eigenverantwortliche Handeln der Mitarbeiter stärken.
Hier gilt die Erfahrung: Geben Sie Ihren Mitarbeitern alle erforderlichen Informationen und Sie werden erreichen, dass sie Verantwortung übernehmen. Gestalten Sie deshalb regelmäßig Aushänge unter verschiedenen Rubriken wie zum Beispiel „Qualitätswesen“, „Termine“ und „Kennzahlen“. Mitarbeiter können umso wirksamer mitdenken, je informierter, aber auch je qualifizierter sie sind.
Nutzen Sie daher jede Gelegenheit, Ihre Mitarbeiter mit fachlichem Input zu versorgen. Sei es durch Fachbücher, die Sie ihnen schenken, durch Referenten, die Sie in Ihr Unternehmen einladen oder eine kleine Bibliothek mit Fachliteratur, die für jeden Mitarbeiter zugänglich ist. Oder Sie bieten einmal pro Monat interne Workshops und Schulungen an, in denen fachlich und didaktisch kompetente Mitarbeiter ihren Kollegen Praxiswissen weitergeben.
Motivieren Sie Ihre Mitarbeiter außerdem dazu, Verbesserungsvorschläge anzubringen. Gerade die Ideen der Mitarbeiter sind beim Problemlösen wichtig. Definieren Sie, was ein Verbesserungsvorschlag in Ihrer Firma ist und was er enthält, zum Beispiel: „Der Vorschlag zeigt einen konkreten Lösungsweg; die bloße Problembeschreibung reicht nicht aus“ oder „Der Vorschlag muss machbar sein und einen Nutzen bieten“. Installieren Sie einen Briefkasten, in den die Mitarbeiter ihre Verbesserungsvorschläge einwerfen können.

Stufe 5: Arbeiten Sie mit Zielen und Kennzahlen!
Hat Ihr Unternehmen die vierte Stufe erfolgreich erklommen, werden die Mitarbeiter mitdenken und eigenverantwortlich Optimierungsmöglichkeiten nutzen. Die Mitarbeiter gehen mit offenen Augen und Ohren durch das Unternehmen, spüren Ansätze für Verbesserungen auf und arbeiten daran, diese umzusetzen.
Das klingt, als wäre alles perfekt, dennoch fehlt ein ganz wichtiger Aspekt: die Anbindung des Büro-Kaizen an die Ziele und die Strategieprozesse des Unternehmens. In der fünften Stufe geht es darum, diese zu definieren. Ziele stellen sicher, dass die Kräfte auf den wirksamsten Punkt ausgerichtet werden und nicht jeder in eine andere Richtung läuft. Das mag banal klingen, allerdings zeigt die Praxis, dass nur in wenigen Unternehmen die Mitarbeiter präzise formulieren können, welche Ziele ihr Arbeitgeber verfolgt.
Ziele sollten für alle Mitarbeiter zugänglich und sichtbar sein. Ideal ist es, die Ziele schriftlich festzuhalten und auszuhängen. Zudem ist es wichtig, sie in Form von Kennzahlen messbar zu machen. Hier gilt der Grundsatz: „If you can‘t measure it, you can‘t manage it“ (was Sie nicht messen können, das können Sie auch nicht gestalten). An die Ziele des Unternehmens gekoppelt, zeigen sie die Wirksamkeit und Effizienz von Maßnahmen. Wichtig ist, dass Sie die Kennzahlen regelmäßig messen.
Achten Sie außerdem darauf, nicht mit möglichst vielen Kennzahlen zu arbeiten. Wichtig ist, dass es die entscheidenden Kennzahlen sind; dass Sie diese im Alltag nutzen, sie gemeinsam mit Kollegen im Auge behalten und ihre Entwicklung diskutieren.
Messen Sie zum Beispiel einerseits, wie lange ein Vorgang tatsächlich bearbeitet wird (Bearbeitungszeit), und andererseits, wie viel Zeit vom Prozessstart bis zum Prozessende vergeht (Durchlaufzeit). Setzen Sie beide Zahlen ins Verhältnis. Erheben Sie auch die minimale, mittlere und maximale Bearbeitungs- sowie Durchlaufzeit. Je unterschiedlicher die gewonnenen Daten für die Durchlaufzeit sind, desto unausgeglichener ist der Prozess, was auf einen erhöhten Handlungsbedarf hinweist. Auch Termintreue könnte eine Kennzahl in Ihrem Unternehmen sein.


DIE MÄR VOM KREATIVEN CHAOS: VIELE FIRMEN LEIDEN UNTER SCHLECHT ORGANISIERTEN ABLÄUFEN UND INEFFIZIENZ IM BÜRO.


FAZIT

Als Führungskraft müssen Sie die Optimierungsbemühungen der Mitarbeiter mit Ihren strategischen Überlegungen der Unternehmensleitung verknüpfen. Setzen Sie sich gemeinsam mit den langfristigen Zielen auseinander und fragen Sie:

  • Sind Sie sich über die strategische Ausrichtung des Unternehmens im Klaren?
  • Haben Sie aus den Strategien Ziele abgeleitet?
  • Haben Sie die Ziele auf die Abteilungen bis hin zu einzelnen Mitarbeitern heruntergebrachten?
  • Werden die Ziele am Arbeitsplatz ausgehängt?
  • Haben Sie Kennzahlen definiert, die an diese Zeile gekoppelt sind?
  • Werden diese Kennzeilen regelmäßig gemessen?
  • Werden die Messergebnisse visualisiert und zu den Zielwerten in Bezug gesetzt?
  • Werden die visualisierten Kennzahlen intern veröffentlicht?

Wenn Sie all diese Fragen mit einem „Ja“ beantworten, dann sind Sie auf dem richtigen Weg, um Ihre Prozesse langfristig schneller, besser und kostengünstiger zu gestalten – und geben Ihrem Unternehmen in Krisenzeiten eine stabile Basis.


rm / Jürgen Kurz


DER AUTOR

Jürgen Kurz – Geschäftsführer der tempus GmbH. Mit seinem Seminarkonzept für mehr Effizienz im Büro wurde Jürgen Kurz Finalist beim Internationalen Deutschen Trainingspreis 2006 (BDVT). „Der Effizienzprofi“ (Spiegel Online 06/2009) berät Unternehmen im Bereich Effizienzsteigerung und begleitet seine Kunden über einen längeren Zeitraum, um das Ziel „Für immer aufgeräumt“ zu realisieren. Er hält Vorträge und Seminare zum Thema und erreicht mit seinem Buch „Für immer aufgeräumt. Zwanzig Prozent mehr Effizienz im Büro“ eine große Öffentlichkeit.