Stuttgarter Zeitung – Zur Ordnung braucht's Disziplin

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Auf vielen Schreibtischen herrscht Chaos. Durch Suchen geht Zeit verloren und auch der Überblick. Vielen ist das zwar bewusst, aber oft braucht es einen Impuls von außen, um Strukturen zu schaffen.


Andrea Wendel ist begeistert, weil sie jetzt mit einem Handgriff hat, was sie benötigt, um etwa den Fuhrpark des Tübinger Bauunternehmens Mey Generalbau zu managen: 'Durch die größere Übersicht ist meine Arbeit leichter geworden, und ich habe auch das Gefühl, einige Fehler zu vermeiden.' Ihr Chef Achim Mey lebt schon seit Jahren nach dem Prinzip: leerer Tisch und freier Kopf. In Hängemappen sind die aktuellen Projekte griffbereit geordnet, und es liegen nur die Akten, Papiere und Daten auf seinem Schreibtisch, die er für seine gegenwärtige Aufgabe braucht - meistens.

'Man benötigt schon strenge Disziplin, um im chaotischen Tagesgeschäft sich die Zeit zu nehmen, die abgesprochenen Strukturen einzuhalten und nicht einfach wieder bis zum Umfallen zu stapeln', erzählt der Geschäftsführer. Aber nur so gelinge es ihm, das Richtige anzufassen und seine Aufgaben zügig zu erledigen. Dass seine Belegschaft inzwischen mitzieht und genauso strukturiert und effektiv arbeitet, begeistert ihn. Vor eineinhalb Jahren sah es im Tübinger Büro noch anders aus. Eben so, wie es viele Betriebe und Arbeitnehmer kennen: Die Kisten mit den Wasserflaschen werden im Lager für das Büromaterial aufbewahrt. Seit fünf Jahren steht der irreparable Staubsauger in der Abstellkammer. Und die meisten Mitarbeiter führen einen eigenen Lagerbestand von Stiften, Ordnern oder Schreibpapier.

Achim Mey störten auch die überfüllten 'Ablageschütten' auf den Schreib­tischen, oder dass einige Mitarbeiter eigene Handakten führten, so dass manche Akten doppelt vorkamen. Es fehlte einfach eine einheitliche Struktur in den Teams. Der richtige Mann dafür ist Jürgen Kurz. Mit seinem Büro-Kaizen hilft er, Schreib­tische aufzuräumen, E-Mail-Fächer zu ordnen oder Arbeitsabläufe zu regeln. Sein Buch 'Für immer aufgeräumt' gehört zu den meistverkauften im renommierten Gabal-Verlag. 'Vorschriften sind sinnlos, denn jedes Unternehmen tickt anders', sagt der 50-jährige Effizienzpapst. Aber es gibt grundlegende Prinzipien. Beispielsweise: 'Alles hat einen Platz, alles hat seinen Platz.' So können alle Stifte im Becher sein, der rechts neben dem Telefon steht.


Ein Impuls von außen

Oder: 'Der Locher ist immer vorne im zweiten Fach, weil er oft benötigt wird.' Für Teams sei es wichtig, zusammen gemeinsame Regeln zu vereinbaren. Damit haben sie eine hohe Akzeptanz. Wer sich darauf einlässt, hat nach ein bis zwei Tagen meist sehr viel weggeschmissen, etliches in Kisten verpackt auf den Dach­boden gestellt, für alles einen festen Platz gefunden und vor allem einen leeren Schreibtisch, auf dem nichts von der aktuellen Aufgabe ablenkt. 'Ich bin ein bekennender Leertischler, weil sonst laut Studien zehn Prozent der Arbeitszeit damit vergeudet werden, überflüssige Arbeitsmaterialien aufzuräumen oder fehlende zu suchen', sagt der Betriebswirt. Offensichtlich benötigen Menschen einen Impuls von außen, um eine gemein­same Ordnung zu schaffen. Zwar sieht jeder Einzelne, dass das alte Telefon ausgedient hat und diese PC-Kabel schon seit Jahren in der Kiste verstauben, aber niemand mag die Verantwortung übernehmen. Deshalb hatte Mey für einen Tag eine Mitarbeiterin von Jürgen Kurz engagiert.

Inzwischen sieht es bei Mey Generalbau ganz anders aus: Die Wasserkisten stehen selbstverständlich im Getränkelager. Der Staubsauger ist gleich am ersten Tag rausgeflogen, und Andrea Wendel und Christine Kärcher passen auf, dass die Ordnung im Materiallager erhalten bleibt. 'Eine leichte Aufgabe', findet Wendel, denn nachdem eine klare Struktur geschaffen wurde und sämtliche Schubladen beschriftet wurden, ist auch für alle 45 Mitarbeiter das System in dem 'Selbstbedienungsladen' so offensichtlich, dass sie es respektieren. Doch Kurz nimmt jeden einzelnen Schreibtisch unter die Lupe. Beispielsweise die vielen, unsinnig gekennzeichneten Körbchen mit den Hinweisen 'wichtig', 'später' oder 'Sonstiges'. Das versteht kein Kollege. Also legt der den wichtigen Brief oder das Angebot irgendwo hin. Schon gehen die Suche und der Stress los. Sein Tipp: eine Ablageschale für die neue Post reicht. Nach dem Bearbeiten kommen die Unterlagen in ein Wiedervorlagesystem, etwa in einen Rollcontainer unter dem Schreibtisch.

Für hohe Dauerstapel sorgen Zeitschriften und Artikel, die man 'unbedingt irgendwann' lesen will – und es nie tut. Kurz rät, ein eigenes Fach im Schrank anzulegen und von Zeit zu Zeit von unten zu leeren. So sind auch bei Mey Generalbau Tonnen von Papier vor dem Firmenumzug rausgeflogen, genauso wie Druckerpatronen für Drucker, die längst ausgedient hatten. 'Die entscheidende Veränderung fand in unseren Köpfen statt', so der Tübinger Architekt und Wirtschaftsingenieur: 'Wir haben die Angst verloren, auch mal brauchbare Unterlagen wegzuwerfen.' Meist sei der Aufwand, alles aufzuheben, was man vielleicht nochmals benötigen kann, größer, als es eben dann im Bedarfsfall nochmals zu beschaffen. Das Tübinger Unternehmen wickelt Versicherungsschäden ab, meist sind es Leitungswasserschäden. 'Wir bekommen täglich zehn neue Fälle mit sämtlichen Formularen und Daten', erzählt Mey. So kommen im täglichen Geschäft 200 bis 300 laufende Fälle zusammen. Viel Papier, viele E-Mails und beispielsweise rund 800 eigene Bautrocknungsgeräte, die im Tübinger Umkreis im Einsatz sind. Je klarer die Strukturen und je schneller der Überblick, umso effizienter wird gewirtschaftet.

Jens Gieseler