Heidenheimer Zeitung – Hier ist alles an seinem Platz

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Der Schreibtisch des Chefs (59) Ein Schreibtisch sagt immer auch etwas über seinen Nutzer aus oder? ln dieser HZ-Serie werden Arbeitsplätze von Führungskräften aus der Region vorgestellt. Heute: Jürgen Kurz von der Kurz Büro-Kaizen GmbH in Giengen.

Zur Person: Jürgen Kurz hat Betriebswirtschaftslehre und Management studiert. Viele Jahre leitete er ein mittelständisches Unternehmen in der Metallindustrie, wo er die Managementmethode Kaizen auf das Büro adaptierte. Inzwischen hat er dazu vier Bücher geschrieben und eine eigene Firma gegründet. Der 59-Jährige hat zwei Kinder und lebt mit seiner Frau in Nattheim.

Vorsicht, sagt Jürgen Kurz. „Ich kann Ihnen meine Geschichte schon erzählen. Aber wenn ich mal anfange, finde ich kein Ende.” Dann lacht er herzlich. Und dann legt er los. Jahrgang 1965, aufgewachsen in Nattheim, BWL-Studium, Managementstudium in Berlin, St. Gallen und Chicago, Abschluss als Jahrgangsbester. Von der Uni ging es auf direktem Weg in die Führungsetage. Heute ist er sein eigener Chef.

Es ist kein langweiliger Monolog, es ist fast schon Kabarett, was er da aus seinem Lebenslauf macht. Zu jeder Stufe auf der Karriereleiter gibt es eine Anekdote zu erzählen. Beispielsweise die: Am Abend vor dem Umzug Richtung Stuttgart, wo er nach dem Studium seine erste feste Stelle antreten sollte, hatte ihm der Inhaber des Giengener Unternehmens drilbox ein attraktives Jobangebot unterbreitet. Frei denken, frei arbeiten, das war mit Dr. Jörg Knoblauch möglich, das spürte er! Kurzerhand sagte Kurz zu und ging mit Bauchschmerzen nach Hause. Ohne sich mit seiner Frau Angelika zu beratschlagen, hatte er eine wegweisende Entscheidung getroffen. Was würde sie dazu sagen? „Sie sagte nur Danke”, erinnert sich der 55-Jährige. Dass sie nur ihm zuliebe ein neues Leben in Esslingen begonnen hätte, wertete er als Zeichen der Liebe. Dass sie seinen beruflichen Werdegang bis heute mitgetragen hat, auch: „Wenn man mich fragen würde, wo mein Lieblingsplatz ist auf der Welt, würde ich deshalb antworten: neben meiner Frau auf dem Sofa.”

„Ich würde mich sofort selbst feuern.”

Besser als die Lufthansa
Jedes Ding hat einen Platz und jedes Ding hat seinen Platz: Mit Sätzen wie diesem ist der „Aufräum-Guru” über die Jahre ungeplant berühmt geworden. Zufällig hatte er sich einen Vortrag über die aus Japan stammende Managementmethode Kaizen angehört. Der Referent versprach 20 Prozent mehr Effizienz und Einsparung in der Produktion allein durch Struktur und Ordnung. „Der schwäbische Controller in mir hat damals nur 20 Prozent Ersparnis gehört. Ich
bat den Referenten, mir bei der Umsetzung zu helfen, weil ich nicht wusste, was ich mit meinen 30 Seiten handschriftlichen Notizen nun anfangen sollte.” Über die Zeit fruchteten die Veränderungen und machten sogar einen Sieg gegen die Lufthansa möglich. Als der Ludwig-Erhard-Preis für innovative Unternehmen übergeben wurde, fielen dem Gratulationskomitee die Schreibtische der Mitarbeiter sofort ins Auge. Jürgen Kurz hatte das Kaizen-Prinzip auf den Büroalltag übertragen und bis zur Perfektion optimiert.

Bald häuften sich die Anfragen. Ob Kurz nicht auch in diesem oder jenem Betrieb für Ordnung sorgen könnte? Unter anderem lud ihn die Schweizer Bahn ein. In Bern sollten 250 Schreibtische aufgeräumt werden, Hunderte weitere wurden in Aussicht gestellt. Alleine war das nicht zu schaffen. Jürgen Kurz suchte sich Mitstreiter. Zu dieser Zeit pendelte er im Wochenrhythmus als drilbox­ Geschäftsführer zwischen der Ostalb und Amerika, wo er verantwortlich war für drei Werke. Zurück in Deutschland, gab er nun tageweise Aufräumseminare vor Ort, jedem Teilnehmer hinterließ er seine Handynummer: „Ich übernehme Verantwortung für mein Konzept. Wenn es Fragen gibt, kann man mich auch Jahre später noch dazu anrufen.” Samstag und Sonntag kümmerte er sich um seinen eigenen Schreibtisch. Dann stieg er wieder ins Flugzeug.

Eine interessante, aber sehr anstrengende Art zu leben! Um sich selbst zu entlasten, schrieb er sein Wissen nieder: „Ich habe dann allen Leuten, die Interesse an Kaizen hatten, mein Buch geschenkt und sie gebeten, mich nicht mehr zu kontaktieren.” Der im Jahr 2007 veröffentlichte Ratgeber verkaufte sich wie warme Semmeln, unter anderem wurde er ins Chinesische übersetzt. Allein, es half nichts. Mit der Zeit zeigte sich, dass ein aufgeräumter Schreibtisch neue Probleme mit sich bringt. Kurz feilte an einer Verzahnung der papiernen mit der digitalen Ablage und an einem System, nun auch im Computer Ordnung zu schaffen. Daraus entstanden immer neue Seminarthemen, ein zweites Buch und auch die Kurz Büro-Kaizen GmbH, gegründet 2012. Seine Dienstleistungen bietet er seitdem gemeinsam mit Dr. Jörg Knoblauch unter dem Dach der Firmen tempus und tempus consulting an, die Zeit- und Lebensberater Knoblauch 1989 ins Leben gerufen hatte.

Jürgen Kurz hat dieses freie Denken und Arbeiten auch in seiner Chefposition nie infrage gestellt. Er gibt viel auf die Meinung seines Teams und ein gutes
Miteinander. So gibt es ein Organigramm in Kreisform, gemeinsam formulierte Grundsätze und ein Beurteilungssystem, das nicht nur nach unten blickt. Perspektivwechsel erweitert den Horizont, auch den eigenen, der Azubi bewertet den Vorgesetzten – warum nicht? „Wenn ich mir überlege, was die nächste Generation so alles kann, ganz ehrlich, dann würde ich mich zuerst feuern”, sagt er und lacht vergnügt. Man kann gar nicht so recht glauben, dass ihm diese Leichtigkeit mal für eine ganze Weile abhandengekommen war.

Arbeit als Bereicherung
Es ging auf den 50. Geburtstag zu. Beruflich erfolgreich, finanziell abgesichert, die beiden Kinder aus dem Gröbsten raus und auf einem guten Weg – was hatte das Leben nun für ihn noch zu bieten? Sich zur Ruhe zu setzen, um die Welt zu bereisen, schien ihm nur im ersten Moment verlockend. Er würde sich nach
wenigen Tagen langweilen, das wusste er. Viel zu arbeiten, das hatte ihm in diesem kreativen Umfeld dagegen noch nie etwas ausgemacht, im Gegenteil. Bis heute empfindet er Arbeit als Bereicherung. Nach einigem Hadern und Sinnen beschloss er deshalb, es lieber mit einer neuen Erfolgsgeschichte zu versuchen
anstatt mit Vorruhestand. Sein Ziel: Eine Million Klicks auf der Firmenhomepage binnen Jahresfrist. Doch mit jedem neu eingestellten Erklärvideo stiegen die Zahlen, die magische Marke wurde mühelos erreicht. Für 2021 liegt die Hürde bei einer Million Besucher pro Monat. Er ist zuversichtlich, dass er auch diese Messlatte reißen wird.

Unterstützung bekommt er dabei auch von seinen beiden Mit-Geschäftsführern bei der Büro-Kaizen GmbH. Sohn Patrick kümmert sich schwerpunktmäßig um die Bereiche Digitalisierung und Office 365, die „PC-Waffe” Marcel Miller betreut den Blog und veröffentlicht wöchentlich mehrmals Praxistipps auf Youtube. Wie gut dieses Dreiergespann funktioniert, zeigte sich während der Corona-Krise. Schon zuvor war digitales Arbeiten im Team ein Thema gewesen. Nun musste ein Buch dazu auf den Markt, und zwar flott! „Normalerweise braucht das sieben Monate Zeit. Ich habe gesagt, wir schaffen das in sieben Wochen”, so Jürgen Kurz. Tatsächlich konnte der Termin gehalten werden. Auch dieser Ratgeber schaffte es auf die Amazon-Bestsellerliste und war am Erscheinungstag vergriffen. Ist das nicht ein verrücktes Gefühl? Der Unternehmer lacht. Und wie! „Ich habe damit gerechnet, dass auch Buch Nummer vier ein Erfolg wird. Aber der Moment, in dem man sieht: Platz zwei! Da haut es einen fast vom Stuhl!”

Woher nimmt dieser Mann seine Energie? „Ich verbringe eine Woche pro Monat in Kroatien. Aber nicht, um Urlaub zu machen, sondern um in Ruhe zu arbeiten.” Der Tag beginnt wie gewohnt in aller Früh. Gegen Mittag kommen Verwandte vorbei. Es sind Familienangehörige, Bauunternehmer von Beruf, herzliche Leute, die das Leben zu genießen wissen. Gemeinsam wird gegessen. Dann arbeitet Jürgen Kurz durch bis zum Abend. Und dann wird gegrillt. Fleisch, Fisch, zwei Gläser Wein, zufrieden legt er sich schlafen. „Meine Frau sagt, dass ich der sparsamste Mensch bin, den sie kennt”, sagt er. „Tatsächlich besitze ich nicht viel. Ich fahre kein besonderes Auto, ich trage keine Uhren, keinen Schmuck. Luxus ist für mich die Freiheit, genau das tun zu können, was ich gerne tun möchte.”

Erst die Nachfrage, dann das Angebot
Jürgen Kurz stieg 1989 beim Giengener Mittelständler drilbox ein. Dessen Inhaber Dr. Jörg Knoblauch gründete in dieser Zeit die tempus Akademie, die Beratungen im Bereich Zeit- und Lebensplanung anbietet. drilbox wurde 2006 verkauft. Zu dieser Zeit war Jürgen Kurz bereits Geschäftsführer bei tempus.
2012 gründete er schließlich sein eigenes Beratungsunternehmen, die Kurz Büro-Kaizen GmbH. Dort sind acht Mitarbeiter und zehn externe Berater tätig.
Die Geschäftsführung teilt sich Jürgen Kurz mit seinem Sohn Patrick und PC-Experte Marcel Miller. 2019 wurde ein Umsatz von 1,5 Millionen Euro erwirtschaftet.

Manuela Wolf